Ehrlich und offen

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Gilderoy Ehrlich und offen

Einer Bekannten erzählte ich neulich, daß ich an diesem Tage wieder das Vergnügen hatte, einen überraschten Patienten mit seiner Krebsdiagnose zu konfrontieren. Sie betonte daraufhin, daß sie erwarte, daß der Arzt ihr immer die Wahrheit sage und daß die Wahrheit vom Patienten dankbar aufgenommen werde.

Ohne jetzt weiter darauf einzugehen hielt ich ihre Ausagen für das typische Gerede eines Gesunden, und es gelang mir nicht, sie zur Einsicht zu bringen, daß sie die ganze Sache ziemlich blauäugig sieht.

Daher eine oder gar zwei Fragen an die Runde:

Soll ein Arzt ehrlich sein?

Soll ein Arzt offen sein?

Zur Begriffsbestimmung: "ehrlich": daß was ich sage, halte ich für richtig;
"offen": das, was ich für richtig halte, sage ich.

Natürlich geht es hier um das Verhalten im Beruf und nicht das zu meiner Frau/Freundin. Aber das interessiert auch wohl kaum jemand hier.


Gilderoy
 
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Wonneproppen Wie sag ich´s meinem Kinde...

äh... Patienten?


Einem völlig ahnungslosen Patienten mit der Diagnose "Krebs" zu konfrontieren, ist furchtbar. Es ist aber genauso fürchterlich, einer werdenden Mutter sagen zu müssen: "Ihr Baby hat keine Arme." und es ist mindestens fürchterlich, sagen zu müssen: " Wir können für ihren Unterschenkel nichts mehr tun. Der muß ab."

Krebs geistert noch immer als das Allerschrecklichste, was man bekommen kann, in den Köpfen der Menschen herum.
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass man an der schlichten Lungenentzündung verstarb und die "Galoppierende Schwindsucht" jedem zweiten blässlichen Mädchen angedichtet wurde.

Ich will damit aufzeigen, dass es egal ist, mit welcher Diagnose man jemanden aus seiner "blühenden Gesundheit" heraus umhaut.
Wie man seine Worte auch immer wählt, ob Angehörige dabei sind oder nicht, ob es ein junger oder alter Mensch ist- ganz egal.

Es tut weh!

Aber es nützt doch nichts.
Will man helfen, retten, was noch zu retten ist, muß man mit offenen Karten spielen.
Gerade in der heutigen Zeit mit zahlreichen Informationsquellen.... Ich stelle mir vor, dass mein Patient, dem ich schonenderweise nicht alles gesagt habe, der Vertrauen zu mir hat, irgendwann einmal irgendjemand aus seinem Umfeld dubiose Andeutungen macht, die Therapie in Frage stellt oder oder oder.... Nein, das stelle ich mir lieber nicht vor. Dem patienten erwachsen Zweifel, er verliert sein Vertrauen, fühlt sich neben krank nun auch noch hilflos und verarscht?
Nee,nee, dann lieber sofort offene Karten.

Was ich persönlich präferiere: Mit der Mitteilung einer ungünstigen Diagnose zugleich Hilfsangebote reichen. Was heißt, den Patienten nicht mit der schockierenden Sachlage allein lassen, sondern zugleich therapeutische Angebote machen.
Aber, das muß man im einzelnen sehen. Manche sind echt hart im Nehmen, andere vollkommen von der Rolle.
It depends on ;-)

Ein Arzt soll ehrlich und offen sein.
Allein der Ton macht die Musik.

Gruß Wonneproppen
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jama

Hi,

hast es meines Erachtens nach sehr sehr gut getroffen und beschrieben, "Wonneproppen" Augenzwinkern

Zitat:
Will man helfen, retten, was noch zu retten ist, muß man mit offenen Karten spielen.
Gerade in der heutigen Zeit mit zahlreichen Informationsquellen.... Ich stelle mir vor, dass mein Patient, dem ich schonenderweise nicht alles gesagt habe, der Vertrauen zu mir hat, irgendwann einmal irgendjemand aus seinem Umfeld dubiose Andeutungen macht, die Therapie in Frage stellt oder oder oder.... Nein, das stelle ich mir lieber nicht vor. Dem patienten erwachsen Zweifel, er verliert sein Vertrauen, fühlt sich neben krank nun auch noch hilflos und verarscht?
Nee,nee, dann lieber sofort offene Karten.


Kann man es sich leisten das Wort "Krebs" zu umschreiben und dem Patienten vorzuenthalten? Welchen Vorteil hätte man davon überhaupt, außer dass man Gefahr liefe das Vertrauen eines Patienten zu verlieren?

Viele Grüße,

Jama
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esperanza y sol

Ich sprech mal aus Patientenseite:
Ja, ich möchte unbedingt wissen was los ist!!! Und zwar so genau wie möglich, mit allen Vorschlägen, die mir helfen könnten!!!!

Das allerallerschlimmste ist Ungewissheit.
Ein Bekannter von mir wurde erst am WE ins Krankenhaus eingewiesen, mit Blut im Stuhl und schlimmen Krämpfen. Die Warterei, auf eine genau Diagnose hat ihn (und vor allem seine Frau) fast verrückt gemacht. Die Andeutungen, was es sein könnte waren ganz wage und entsprechend hab ich mich dann zu Hause ans googlen gemacht, um evtl. Diagnosen rauszubekommen. Ist zwar totaler quatsch, ich weiß, weil mir einfach das ganze Hintergrundwissen fehlt. Aber man bekommt heute mit 2,3 Schlagworten im Netz gleich viele viele mögliche Antworten.
Und es ist besser, wenn man sich mit den möglichen Diagnosen beschäftigen kann, als ganz im Ungewissen zu hängen.
Deswegen kann ich nur appelieren, dass die Ärzte einen nicht im Ungewissen lassen. Wahrscheinlich ist es aber nicht verkehrt ein bisl Gespür dafür zu entwickeln, bei welchen Patienten man solange wartet, bis die Diagnose sicher ist, denn einige Menschen können mit einer Auswahl an Möglichkeiten auch nicht umgehen.
Deswegen, eine der wichtigsten Eigenschaften der Mediziner sollte doch der Menschenverstand sein, zumindest von den Medizinern, die mit lebenden Menschen zu tun haben Augenzwinkern
 
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Gilderoy

Dann muß ich mich mal einschalten.

Ich habe nicht speziell nach der Krebsaufklärung gefragt, sondern weit darüber hinaus nach Offenheit und Ehrlichkeit gefragt.

Offen bedeutet explicit auch, daß ich gegebenenfalls zum Patienten sage: "Für mich sind Sie ein kerngesunder Jammerlappen" oder ihm klar und ehrlich sage: "Welcher Idiot hat Sie denn bisher behandelt?" oder gar auf medizinische Diskussionen mit ihm einlasse "Einrenken? Das ist ja wohl der Brüller! Wie soll denn ein Wirbel ausgerenkt sein?" oder "Tinnitus? Und damit belästigen Sie mich?"

Meint Ihr wirklich, daß ich das sagen soll?

Daß eine ernste Diagnose dem Patienten mitgeteilt wird, halte ich für selbstverständlich. Ich bemühe mich auch, alles, was ich sage, ehrlich zu meinen. Aber offen?

Die Offenheit bestimmt bei mir der Patient, nämlich durch sein Nachfragen. Am Montag war bei mir eine Patientin mit uncharakteristischen Bauchschmerzsen und Völlegefühl. Der befund war klar: fortgeschrittene Peritonealcarcinose bei noch unbekanntem Primärtumor. Soll ich ihr klar sagen: Sie haben einen fortgeschrittenen Krebs ohne Überlebenschance?

Nur, wenn sie das genauso fragt, sonst nicht, erst recht nicht, wo die Untersuchungen nicht abgeschlossen sind. Da hat esperanza y sol schon meiner Meinung nach das Richtige anklingen lassen.

Keine Sorge, keiner wird belogen, aber meint Ihr das mit der Offenheit ernst? Vielleicht habt Ihr meine Frage nach der Offenheit nicht so ernst genommen, wie sie gemeint war.


Gilderoy

@ esperanza y sol: Das Problem der Wartezeit zwischen Verdacht und Diagnose ist nicht durch Arztgespräche lösbar. Es ist zum einen unsinnig, sich sämtliche in Frage kommenden Diagnosen mit den therapeutischen Konsequenzen erzählen zu lassen, weil es viel mehr unberechtigte Ängste weckt als besänftigt, sowie vom Zeitaufwand nicht für den Arzt zumutbar. Du mußt Dir vorstellen, daß ein solches Gespräch, was im Unkonkreten bleiben muß und keinerlei Nutzen für den Patienten hat und dazu noch aller Erfahrung nach ein ständiges Drehen im Kreise mit wiederholten "was wäre aber wenn"-Fragen wird, etwa zwei Stunden dauert. Zu einem Arzt, der so wenig zu tun hat, daß er dafür Zeit hat, möchte ich nicht gehen, wenn ich ernsthaft krank bin. Fürs Raten und Spekulieren bin ich nicht da.
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esperanza y sol

Ich weiß, es ist auch wirklich ein schmaler Grad.
Und ich denke auch, dass den Ärzten oft die Zeit fehlt, sich mit dem Patienten angemessen auseinanderzusetzten.
Allerdings finde ich, dass jeder Patient verdient ausreichend informiert zu werden. Wenn man dann schon merkt, dass der Arzt einen schnell wieder loswerden will, kommt man sich schon blöd vor und nicht ernstgenommen.
Allerdings spreche ich jetzt auch von den nicht hypochondrischen Patienten, die wegen jedem Räuspern zum Arzt rennen.
Ich z.B. gehe eigentlich fast nie zum Arzt, weil ich oft das Gefühl habe die helfen mir eh nicht.
Sämtliche mögliche Diagnosen zu nenne ist evtl. etwas übertrieben ausgedrückt, aber ich wollte damit sagen, dass es m.E. schon gut ist, wenn man über die Möglichkeiten aufgeklärt wird. Natürlich immer in Erwägung des Informationsbedarfs desjenigen Patienten. Wie schon erwähnt es gehört eine große Portion Einfühlungsvermögen dazu.
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tres

@ Gilderoy : Ich weiß nicht wie du es jetzt machst, da die letzten Beiträge ja schon eine Weile her sind, und ob es dich überhaupt noch interessiert, aber ich würde trotzdem gerne meinen Komentar zu dieser Frage abgeben....

und ich spreche aus der Sicht eines Patienten....

natürlich sollten der richtige Ton und die richtigen Worte gefunden werden, aber ich denke, wenn der Patient eine Erkrankung hat, sollte man diese ihm mitteilen....
ich habe vor zwei Monaten eine erlich gesagt beschiss... Erfahrung gemacht, und ich wünsche mir, dass die Reaktion dieser Ärztin eine Ausnahme war, und dass sie nicht jedem Patienten so mitteilt was er hat..... ich meine... sollte man einer 16 Jährigen die nach einem Fahrradunfall ins Krankenhaus kam mit einem angebrochenen, gebrellten Ellebogen und im Schockzustand und ohne das beisein von einem Elternteil sagen, dass sie einen Tumor hat......bzw ein Osteom ...... ich weiß nicht ob sie gedacht hat, dass ich vll den Begriff nicht kenne, und es mich deshalb nicht schockt, aber ich weiß was ein Osteom ist, ich konnte nur nichts sagen, weil ich in dem Moment nur noch mehr geschockt war.....

danach habe ich mir auch überlegt, ob es vll besser sei, wenn Ärzte erst nur so Andeutungen machen, aber jetzt denke ich....es war gut, dass ich es erfahren habe, ich hätte es zwar gerne etwas anders erfahren, aber ich denke mal, dass Sie ;Gilderoy, das nicht so machen.....

wie der Patient sich dann nach einer Diagnose entscheidet, dass ist dann halt seine Entscheidung,.... aber man sollte ihm wenigsten sie Möglichkeit geben, sich zu entscheiden......

Ehrlich sollte ein Arzt auf jeden Fall sein, denn einem Patienten mit einer Aussage vll. falsche Hoffnungen zu machen........

ich hoffe Sie konnten mit meiner Antwort etwas anfangen.....

vlg.
tres
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Gilderoy

Wenn Du weißt, was ein Osteom ist, wieso warst Du dann geschockt? Osteome haben doch keinen wirklichen Krankheitswert.

Solche banalen Nebendiagnosen teilt man oft dem Patienten mit, ehe es ein anderer tut (oder der Patient den Befund liest und sich erschreckt). Es ist natürlich dann schwierig, es so rüberzubringen wie man es meint.

Fachausdrücke muß man verwenden: eine Umschreibung ist zwar sinnvoll, aber der heutige Patient schaut doch (leider) im Internet nach, was er denn wirklich hat. Kann ich nicht verhindern, rate aber zu Vorsicht und zu wikipedia. Die dortigen Artikel sind in aller Regel sachlich und verläßlich.

Ob ich es richtig mache. weiß ich nicht. Dafür müßte man meine Gespräche aufnehmen und analysieren.

Gilderoy
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tres

ok....ich habe mich falsch ausgedrückt..... sie sagte ein Tumor vll ein Osteom, und sie könnte mir nicht sagen ob er gut oder bösartig sei...... jetzt verständlich wieso man sich da möglicherweise erschrickt????
aber ich denke das ist jetzt eher nicht das worum es hier eigentlich geht........
 
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